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Glänzend wie Gold, rar wie Trüffel - Süssweine aus dem Wallis

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Stefan Keller
Von diesen Weinen erzählt man nicht einmal seinen besten Freunden. Sie sind rar wie Trüffel, glänzen wie Gold, duften nach vollreifen, sonnenwarmen Früchten, fühlen sich an wie Seide und hallen nach wie eine Fuge von Bach. Entstanden sind sie im.

Von diesen Weinen erzählt man nicht einmal seinen besten Freunden. Sie sind rar wie Trüffel, glänzen wie Gold, duften nach vollreifen, sonnenwarmen Früchten, fühlen sich an wie Seide und hallen nach wie eine Fuge von Bach. Entstanden sind sie im Winter vor zwei Jahren in den Terrassen der Walliser Rebberge. Wer damals die verschrumpelten braunen Trauben gesehen hat, die an laublosen Reben baumelten, als wären sie bei der Ernte vergessen gegangen, und jetzt den leuchtend goldgelben Süsswein betrachtet, der träg im Glas schwappt und Wohlgerüche verströmt, der kann wundergläubig werden. Es braucht eine gehörige Portion Wagemut, Idealismus und Gelassenheit, um ohnehin rare und gefragte Varietäten wie Ermitage, Petite Arvine und Amigne im Regen und Schnee stehen zu lassen in der Hoffnung, dass der Pilz Botrytis cinerea komme, sich ausbreite, die Traubenhaut perforiere und das Wasser aus den Beeren verdunste. Im Gegenzug soll sich dann all das, was Wein von Wasser unterscheidet, konzentrieren. «Surmaturé sur souche» nennt man im französischen Sprachraum diese Art der Süssweinherstellung, bei der die Trauben am Stock überreif werden; sie bildet die Basis der französischen Sauternes, der ungarischen Tokajer und der deutschen Trockenbeerenauslesen.

«Surmaturé sur souche» ist auch eine der Bedingungen, die in der Charta der Vereinigung von Walliser Grain-noble-confidentiel-Produzenten festgeschrieben sind. 1996 traten die fünf Gründungsmitglieder erstmals an die Öffentlichkeit. Wortführer waren Marie-Thérèse Chappaz und Stéphane Gay. «Unser Ziel sind lagerfähige Gewächse, die dank ihrer natürlichen Herstellung geschmacklich besonders raffiniert sind», verkündeten sie - und nahmen klar Stellung gegen die wachsende Anzahl von Produkten, die mit technischen Verfahren wie Cryoextraktion hergestellt werden. In der Charta legten sie auch fest, dass nur die traditionellen und für «vins liquoreux» geeigneten Rebsorten Amigne, Arvine, Ermitage, Johannisberg und Malvoisie aus den besten Lagen der ersten Zone verwendet werden dürfen. Der Most muss mindestens 130 Öchslegrade messen, der Wein nicht weniger als 12 Monate in Holzfässern ausgebaut werden. Ob ein Jahrgang den Ansprüchen genügt, legen die Produzenten nach einer Verkostung aller potenziellen Grain- noble-confidentiel-Gewächse zu gegebener Zeit selber fest. Der 99er hat die erste Hürde übersprungen, er wird als «bon» eingestuft. In der zweiten Runde kommen die Weine nochmals auf den Tisch und werden auch externe Degustatoren eingeladen. Die Produzenten erhalten eine Art Gutachten; es bleibt aber ihnen überlassen, ob sie ihre Flaschen mit der briefmarkengrossen Etikette «Grain noble confidentiel» kennzeichnen.

In der Vereinigung sind die Produzenten heute mit 30 Mitgliedern fast vollständig vertreten. Das ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb das System der Selbstkontrolle funktioniert. Von den 26 Gewächsen, die Ende August zur Degustation eingereicht wurden, lassen sich jedenfalls die Nieten an einer Hand abzählen. Das Gros überzeugt, und ein gutes Drittel begeistert. Die Spitze der 99er Grain noble confidentiel beweist gar Weltklasse. Viele dieser imposanten Süssweine werden zwar erst im Verlauf dieses Herbstes auf die Flaschen gezogen, und es kann sich da und dort noch etwas zum Guten oder Schlechten wenden: Die heutige Einschätzung wird dadurch aber nicht grundsätzlich auf den Kopf gestellt.

Nicht dass Walliser Süssweine ein neues Phänomen wären - die über 150-jährige Domaine Mont d'Or profiliert sich seit Jahrzehnten mit Spätlese-Gewächsen, und je nach Witterungsverlauf im Herbst wagten schon immer auch andere Winzer, einen Teil ihrer Trauben erst im November zu ernten. Für die Entwicklung einer neuen Generation von Walliser Süssweinen brachte aber erst Jules Duc den Stein ins Rollen. «Als ich Ducs 86er Malvoisie aus edelfaulen Trauben verkostete, war mir klar: Das ist gross, so gross wie Yquem», erinnert sich Stéphane Gay. «Wir waren der Meinung, dass das Klima im Wallis vor allem Flétri- Weine begünstigt. Wenn wir aber die letzten Jahre analysieren, stellen wir das Gegenteil fest. Es gab fast keinen Jahrgang ohne einen mehr oder weniger hohen Anteil an Botrytis-Trauben.» Dem Unterschied zwischen den rosinierten Beeren mit intakter Schale (grain flétri) und den vom Pilz Botrytis cinerea befallenen Beeren (grain rôti) misst Stéphane Gay entscheidende Bedeutung zu: «Um einen grossen Wein zu machen, braucht es den Botrytisbefall der Beeren, denn dadurch konzentrieren sich Zucker und andere bestimmende Inhaltsstoffe, während die Säure abgebaut wird. Der Wein gewinnt an Viskosität und Komplexität. Bei Flétri-Gewächsen hingegen spürt man stärker den Sortencharakter, weil sich die charakteristischen Aromen ja in der Schale befinden.»

Im Gegensatz zu den «grain flétri» kann die Konzentration bei den «grain rôti» weit über 140 Öchslegrade klettern. Doch nicht in jedem Jahr nistet sich die Botrytis cinerea ein. Ein gutes Umfeld schaffen diejenigen Winzer, die bei den Spritzungen auf die Beigabe von Antibotrytis-Substanzen verzichten, was mit zusätzlichen Risiken verbunden ist. Ideale Voraussetzungen für die Entwicklung herrschen, wenn es Mitte Oktober warm ist und regnet und kalte Wochen ohne Niederschläge folgen. Im reifsten Stadium glänzen die braun gewordenen Trauben wie prall gefüllte Honigwaben, und wer sie berührt, bleibt daran kleben. Geerntet wird jede Sorte einzeln, und dies oft in mehreren Durchgängen. Was nach dem Pressen bleibt, sind vielleicht noch zwei bis drei Deziliter Flüssigkeit pro Quadratmeter Produktionsfläche. Die meisten Produzenten bauen die hochkonzentrierten Süssweine in Barriques aus, nicht zuletzt deshalb, weil sie ein grosses Fass gar nicht vollkriegen würden. Der Verzicht auf den biologischen Säureabbau ist die Regel. Vor Ablauf von zwei Jahren wird kaum abgefüllt. Was dann auf die Flaschen gezogen wird, vermag jahrzehntelang weiterzureifen.